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George Orwell - Mein Katalonien (1938)
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Dreizehntes Kapitel

Während der letzten Wochen, die ich in Barcelona verbrachte, lag ein eigentümliches, böses Gefühl in der Luft, es war eine Atmosphäre des Misstrauens, der Furcht, der Ungewissheit und des verhüllten Hasses. Die Maikämpfe hatten unausrottbare Folgen hinterlassen. Mit dem Fall der Regierung Caballero waren die Kommunisten endgültig an die Macht gekommen. Die Verantwortung für die innere Ordnung war kommunistischen Ministern übertragen worden, und niemand zweifelte daran, dass sie ihre politischen Rivalen zerschmettern würden, sobald sie auch nur einen Zipfel der Gelegenheit zu fassen kriegten. Bisher war noch nichts geschehen, und ich selbst hatte nicht einmal eine Idee davon, was geschehen würde. Dennoch hatte man das Gefühl ständiger, unbestimmter Gefahr, die Ahnung eines bevorstehenden, schlimmen Ereignisses. Obwohl man sich in Wirklichkeit nicht an einer Verschwörung beteiligte, zwang einen doch die Atmosphäre, sich wie ein Verschwörer zu fühlen. Es hatte den Anschein, als verbrächte man seine Zeit damit, geflüsterte Unterhaltungen in den Ecken der Cafes zu führen, während man sich gleichzeitig fragte, ob die Person am Nebentisch nicht ein Polizeispion sei.
Auf Grund der Pressezensur machten alle möglichen finsteren Gerüchte die Runde. Nach einem dieser Gerüchte plante die Regierung Negrin-Prieto, den Krieg durch einen Kompromiss beizulegen. Damals war ich geneigt, daran zu glauben, denn die Faschisten umzingelten gerade Bilbao, und offensichtlich tat die Regierung nichts, um es zu retten. In der ganzen Stadt wurden zwar baskische Fahnen gehisst, Mädchen gingen mit Sammelbüchsen in die Cafes, und man hörte die üblichen Rundfunksendungen über die »heroischen Verteidiger«, doch eine wirkliche Unterstützung gab man den Basken nicht. Man konnte fast glauben, die Regierung führe ein doppeltes Spiel. Spätere Ereignisse bewiesen, dass ich in diesem Fall völlig unrecht hatte. Aber es hat den Anschein, als wäre Bilbao zu retten gewesen, hätte man nur ein wenig mehr Energie gezeigt. Selbst eine erfolglose Offensive an der aragonischen Front hätte Franco gezwungen, einen Teil seiner Armee abzuziehen. Die Regierung jedoch startete keinerlei Offensivhandlungen, bis es viel zu spät war, ja bis Bilbao schon fiel. Die C.N.T. verteilte eine große Anzahl Flugblätter, auf denen »Seid wachsam!« stand und auf denen angedeutet wurde, dass eine gewisse Partei (also die Kommunisten) einen coup d'Etat planten. Weit verbreitet war auch die Furcht, Katalonien könnte angegriffen werden. Schon vorher, als wir an die Front zurückkehrten, hatte ich gesehen, dass viele Kilometer hinter der Front starke Befestigungen gebaut wurden und man überall in Barcelona neue, bombensichere Unterstände aushob. Es gab häufig Fliegeralarm und Warnung vor Beschießung von der See aus. Meistens aber war es ein falscher Alarm; jedes Mal wenn die Sirenen heulten, wurden jedoch die Lichter der ganzen Stadt stundenlang ausgelöscht, und die furchtsame Bevölkerung tauchte in die Keller. Überall gab es Polizeispione. Die Gefängnisse waren noch mit Gefangenen aus den Maikämpfen voll gestopft, und weitere Menschen - immer Anarchisten und P.O.U.M.-Anhänger -verschwanden einzeln oder zu zweit im Gefängnis. Soviel man erfahren konnte, wurde bisher niemand verurteilt oder angeklagt, nicht einmal eines so eindeutigen Vergehens wie des >Trotzkismus<. Man wurde einfach ins Gefängnis geworfen und dort meistens incomunicado gehalten. Bob Smillie lag immer noch in Valencia im Gefängnis. Wir konnten nichts ausfindig machen, nur dass weder dem örtlichen Vertreter der I.L.P. noch dem Rechtsanwalt, den man genommen hatte, erlaubt wurde, ihn zu sehen. Immer mehr Ausländer aus der Internationalen Brigade und anderen Milizeinheiten wurden ins Gefängnis gesteckt. Normalerweise wurden sie unter dem Vorwand der Fahnenflucht verhaftet. Es war typisch für die allgemeine Lage, dass niemand genau wusste, ob ein Milizsoldat ein Freiwilliger oder ein regulärer Soldat war. Einige Monate früher hatte man jedem gesagt, der sich der Miliz anschloss, er sei ein Freiwilliger und könne jederzeit, wenn er wolle, seine Entlassungspapiere erhalten, sobald er wieder mit Urlaub an der Reihe sei. Jetzt schien es so, als habe die Regierung ihre Meinung geändert. Ein Milizmann war ein regulärer Soldat und galt als fahnenflüchtig, wenn er versuchte, nach Hause zu gehen. Aber selbst hierüber war sich niemand sicher. An einigen Abschnitten der Front gaben die Vorgesetzten immer noch Entlassungspapiere aus. Manchmal wurden sie an der Grenze anerkannt, manchmal auch nicht. Geschah es nicht, wurde man sofort ins Gefängnis geworfen. Später schwoll die Zahl der ausländischen Fahnenflüchtigem im Gefängnis zu Hunderten an. Aber die meisten von ihnen wurden nach Hause entlassen, als man sich in ihren eigenen Ländern darüber aufregte.
Bewaffnete Sturmgardisten durchstreiften überall die Straßen, die Zivilgardisten hielten immer noch Cafes und andere Gebäude an strategisch wichtigen Stellen besetzt. Viele Gebäude der P.S.U.C. waren noch verbarrikadiert und mit Sandsäcken geschützt. An verschiedenen Stellen der Stadt hielten die Wachtposten der Zivilgardisten oder Carabineros die Vorübergehenden an und verlangten ihre Papiere. Jeder warnte mich, meine P.O.U.M.-Milizkarte zu zeigen, ich sollte nur meinen Pass und meinen Lazarettschein vorweisen. Es war nämlich sogar gefährlich, wenn sie erfuhren, dass man in der P.O.U.M.-Miliz gedient hatte. Milizsoldaten der P.O.U.M., die verwundet worden waren oder Urlaub hatten, wurden auf kleinliche Weise benachteiligt. So erschwerte man ihnen beispielsweise die Auszahlung ihrer Löhne. La Batalla erschien noch, aber sie wurde derartig zensiert, dass fast nichts mehr darin stand. Auch Solidaridad und die anderen anarchistischen Zeitungen wurden in großem Umfang zensiert. Es gab eine Vorschrift, nach der die von der Zensur beanstandeten Abschnitte einer Zeitung nicht leer bleiben durften, sondern mit anderen Meldungen gefüllt werden mussten. Deshalb war es manchmal unmöglich zu sagen, wo etwas weggelassen worden war.
Die Lebensmittelknappheit, die während des ganzen Krieges ständig wechselte, hatte eins ihrer schlimmsten Stadien erreicht. Das Brot war knapp, und die billigeren Sorten wurden mit Reis verfälscht. In den Kasernen erhielten die Soldaten ein furchtbares Brot, es war wie Kitt. Auch Milch und Zucker waren sehr knapp, und Tabak gab es fast überhaupt nicht, nur die teuren geschmuggelten Zigaretten. Olivenöl, das die Spanier für ein halbes Dutzend verschiedener Zwecke benutzen, gab es ebenfalls nur selten. Berittene Zivilgardisten kontrollierten die Schlange stehenden Frauen, die Olivenöl kaufen wollten. Manchmal machten sich die Zivilgardisten ein Vergnügen daraus, ihre Pferde rückwärts in die Schlange hineinzumanövrieren, und versuchten, sie dazu zu bringen, den Frauen auf die Füße zu treten. Ein anderes, wenn auch kleineres Übel war damals der Mangel an Kleingeld. Silber war aus dem Verkehr gezogen worden, und bisher hatte man noch keine neuen Münzen ausgeliefert. So gab es zwischen dem Zehn-Centimo-Stück und der Zweieinhalb-Peseten-Banknote kein anderes Wechselgeld, ja selbst alle Noten unter zehn Peseten waren sehr selten (Anm.: Die Kaufkraft einer Peseta betrug damals vier Pence.). Für die Ärmsten der Bevölkerung bedeutete das eine zusätzliche Verschärfung der Lebensmittelknappheit. So konnte es geschehen, dass eine Frau mit einem Zehnpesetenschein stundenlang in einer Schlange vor einem Lebensmittelgeschäft warten musste und dann nicht in der Lage war, etwas zu kaufen, weil der Händler kein Wechselgeld hatte und sie es sich nicht leisten konnte, den ganzen Geldschein auszugeben. Es ist nicht leicht, die Atmosphäre jener Zeit wiederzugeben, die wie ein Alpdruck auf uns lastete; es war eine eigentümliche Unruhe, das Ergebnis immer neuer Gerüchte, verstärkt noch durch die Zensur der Zeitungen und die dauernde Anwesenheit von Soldaten. Diese Atmosphäre lässt sich schwer schildern, weil in England auch heute eine wichtige Voraussetzung einer derartigen Situation fehlt. In England nimmt man politische Intoleranz noch nicht als selbstverständlich hin. Es gibt zwar eine kleinliche Art der politischen Verfolgung, so würde ich mich als Bergarbeiter hüten, den Boss wissen zu lassen, dass ich ein Kommunist bin. Aber der >gute Parteigänger<, das Gangster-Grammophon kontinentaler-Politik, ist bei uns immer noch eine Seltenheit. Es scheint auch nicht gerade natürlich zu sein, jeden, der mit der eigenen Meinung nicht übereinstimmt, einfach zu liquidieren oder >auszulöschen<. In Barcelona schien das nur leider allzu natürlich zu sein. Die >Stalinisten< saßen im Sattel, und darum war es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder >Trotzkist< in Gefahr war. Nur, was jeder befürchtete, geschah nicht - der erneute Ausbruch der Straßenkämpfe, die man dann wie beim letzten Mal der P.O.U.M. oder den Anarchisten zur Last gelegt hätte. Zeitweilig ertappte ich mich dabei, wie ich auf die ersten Schüsse lauschte. Es war, als brüte ein riesiger, übler Geist über der Stadt. Jeder bemerkte es und sagte etwas darüber. Es ist seltsam, wie alle ihre Beobachtungen fast mit den gleichen Worten beschrieben: »Die Atmosphäre dieser Stadt - sie ist schrecklich. Wie in einer Irrenanstalt.« Ich sollte aber vielleicht nicht jeder sagen. Einige englische Besucher, die nur ganz kurz von Hotel zu Hotel durch Spanien huschten, scheinen nicht bemerkt zu haben, dass in der allgemeinen Situation überhaupt etwas nicht in Ordnung war. Ich bemerkte zum Beispiel, dass die Herzogin von Atholl schreibt (Sunday Express, 17. Oktober 1937):
Ich war in Valencia, Madrid und Barcelona... In allen Städten herrschte vollständige Ordnung ohne die geringste Gewaltanwendung. Alle Hotels, in denen ich wohnte, waren nicht nur »normal« und »anständig«, sondern auch äußerst bequem, trotz des Mangels an Butter und Kaffee.
Es ist charakteristisch für englische Reisende, dass sie wirklich an nichts glauben, was außerhalb der feinen Hotels existiert. Hoffentlich fand man etwas Butter für die Herzogin von Atholl.
Ich lag im Sanatorium Maurin, einem der von der P.O.U.M. unterhaltenen Sanatorien. Es lag in den Vororten in der Nähe von Tibidabo, dem eigentümlich geformten Berg, der sich gleich hinter Barcelona erhebt und den man traditionsgemäß für den Hügel hält, von dem aus Satan Jesus die Länder der Welt zeigte (daher stammt auch sein Name). Das Haus hatte früher einem reichen Bürger gehört und war während der Revolution beschlagnahmt worden. Die meisten Soldaten, die dort lagen, waren entweder als Invaliden von der Front entlassen worden oder hatten eine Wunde, die sie dauernd dienstunfähig machte, zum Beispiel amputierte Glieder. Dort lagen auch einige Engländer: Williams mit einem beschädigten Bein und Stafford Cottman, ein achtzehnjähriger Junge, der wegen Tuberkuloseverdacht aus den Schützengräben zurückgeschickt worden war, und Arthur Clinton, dessen zerschmetterter linker Arm immer noch in einer jener riesigen Drahtkonstruktionen lag, die die spanischen Lazarette benutzten und die man scherzhaft »Flugzeuge« nannte. Meine Frau wohnte noch im Hotel >Continental<, und ich kam normalerweise tagsüber nach Barcelona. Morgens ging ich gewöhnlich zum Allgemeinen Krankenhaus, um meinen Arm mit einer elektrischen Methode behandeln zu lassen. Das war eine komische Sache -durch eine Reihe prickelnder elektrischer Schocks ließ man
die einzelnen Muskelstränge auf- und abspringen -, aber es schien mir gut zu tun. Allmählich konnte ich wieder meine Finger bewegen, und der Schmerz ließ etwas nach. Wir hatten uns beide dazu entschlossen, so schnell wie möglich nach England zurückzugehen, das war das Beste, was wir tun konnten. Ich war äußerst schwach, und meine Stimme war anscheinend für immer verschwunden. Die Ärzte sagten mir, dass es selbst im günstigsten Falle mehrere Monate dauern würde, ehe ich wieder kampffähig sei. Früher oder später musste ich anfangen, wieder etwas Geld zu verdienen, und es schien wenig sinnvoll zu sein, in Spanien zu bleiben und Lebensmittel zu essen, die für andere Leute benötigt wurden. Aber meine Motive waren hauptsächlich selbstsüchtig. Ich hatte den überwältigenden Wunsch, von allem wegzukommen. Weg von der scheußlichen Atmosphäre des politischen Misstrauens und Hasses, weg von den Straßen, in denen sich bewaffnete Soldaten drängten, weg von den Fliegerangriffen, Schützengräben, Maschinengewehren, kreischenden Straßenbahnen, dem Tee ohne Milch, dem in Öl gekochten Essen und dem Zigarettenmangel, kurzum von allem, was ich irgendwie mit Spanien in Verbindung zu bringen gelernt hatte.
Die Ärzte im Allgemeinen Krankenhaus hatten mir bescheinigt, dass ich nach ärztlichem Urteil frontuntauglich sei. Um aber meine Entlassung zu erhalten, musste ich eine Ärztekommission in einem der Lazarette in der Nähe der Front aufsuchen und dann nach Sietamo gehen, damit dort meine Papiere im Hauptquartier der P.O.U.M.-Miliz abgestempelt würden. Kopp war gerade frohlockend von der Front zurückgekommen. Er war eben in der Schlacht gewesen und sagte, Huesca würde nun endlich erobert. Die Regierung hatte Truppen von der Madrider Front gebracht und konzentrierte dreißigtausend Mann und eine große Anzahl Flugzeuge an dieser Stelle. Die Italiener, die ich gesehen hatte, als sie von Tarragona zur Front gingen, hatten die Straßen nach Jaca angegriffen, dabei aber schwere Verluste erlitten und zwei Tanks verloren. Kopp sagte aber, die Stadt müsse fallen. (Leider fiel sie nicht! Der Angriff war ein scheußliches Durcheinander und führte zu nichts, nur zu einer Lügenorgie in den Zeitungen.) Nun musste Kopp zu einer Besprechung in das Kriegsministerium nach Valencia. Er hatte einen Brief von General Pozas, der jetzt die Armee am Ostabschnitt befehligte. Es war der übliche Brief, in dem Kopp als eine »Person vollsten Vertrauens« beschrieben und für eine besondere Aufgabe in der Pionierabteilung empfohlen wurde (Kopp war im Zivilleben Ingenieur gewesen). Er ging am gleichen Tage nach Valencia, als ich nach Sietamo ging - am 15. Juni.
Es dauerte fünf Tage, ehe ich nach Barcelona zurückkehrte. Auf einem Lastwagen erreichten wir mit einer Gruppe etwa gegen Mitternacht Sietamo, und als wir gerade im Hauptquartier der P.O.U.M. angekommen waren, trommelte man uns zusammen und händigte uns Gewehre und Patronen aus, bevor man überhaupt unsere Namen feststellte. Es hatte den Anschein, als ob der Angriff beginne und man jeden Augenblick Reserven anfordern könne. Ich hatte meinen Lazarettschein in der Tasche, aber ich konnte mich schlecht weigern, mit den anderen zusammen zu gehen. Ich schlief mit einem Patronenkasten als Kissen auf dem Boden und war in einer ziemlich bedrückten Stimmung. Durch die Verwundung hatte ich meinen Mut verloren - ich glaube, das ist eine normale Reaktion -, jedenfalls hatte ich schreckliche Angst, wieder unter Beschuss zu geraten. Aber schließlich gab es wie üblich ein wenig manana, und wir wurden nicht hinausgerufen. Am nächsten Morgen zeigte ich meinen Lazarettschein vor und kümmerte mich um meine Entlassung; damit waren mehrere ermüdende und verworrene Reisen verbunden. Wie gewöhnlich wurde man von Lazarett zu Lazarett hin- und hergeschickt - Sietamo, Barbastro, Monzon, dann wieder zurück nach Sietamo, damit meine kntlassungspapiere gestempelt wurden, dann über Barbastro und Lerida wieder an die Front hinunter. Die Truppenzusammenziehungen bei Huesca aber hatten alle Transportmittel in Anspruch genommen und alles durcheinander gebracht. Ich erinnere mich, wie ich an recht sonderbaren Stellen schlief, einmal in einem Bett in einem Lazarett, dann wieder in einem Graben, einmal auf einer sehr engen Bank, von der ich mitten in der Nacht herunterfiel, und dann in einer Pension der Stadtverwaltung von Barbastro. Sobald man von der Eisenbahn wegkam, gab es keine Reisemöglichkeiten. Man konnte nur einen der gelegentlich vorbeikommenden Lastwagen anhalten. Zusammen mit einem Haufen verzweifelter Bauern, die Enten und Kaninchen in Bündeln mit sich trugen, musste man stundenlang, oft drei oder vier Stunden hintereinander, am Straßenrand warten und Lastwagen um Lastwagen zuwinken. Erwischte man schließlich einen Lastwagen, der nicht zum Bersten voller Menschen, Brot oder Munitionskisten war, schlug einen die holpernde Fahrt über die elenden Straßen zu Brei. Niemals hat mich ein Pferd so hoch geworfen, wie uns die Lastwagen umherwarfen. Man konnte diese Reise nur durchhalten, wenn man sich zusammendrängte und aneinander festhielt. Es war niederschmetternd für mich, dass ich immer noch zu schwach war, um ohne Hilfe auf den Lastwagen zu klettern.
Eine Nacht schlief ich im Lazarett von Monzon, wo ich die Ärztekommission aufsuchen musste. Im Bett neben mir lag ein Sturmgardist, der über dem linken Auge verwundet worden war. Er war sehr freundlich und gab mir Zigaretten. Ich sagte: »In Barcelona hätten wir aufeinander schießen müssen«, und wir lachten darüber. Eigentümlich, wie sich die allgemeine Einstellung zu ändern schien, sobald man in die Nähe der Front kam. Der ganze oder fast der ganze böse Hass zwischen den politischen Parteien verflog. Ich kann mich aus der ganzen Zeit, die ich an der Front verbracht habe, nicht ein einziges Mal erinnern, dass sich ein Anhänger der P.S.U.C. mir gegenüber feindselig zeigte, weil ich zur P.O.U.M. gehörte. Das gab es eben nur in Barcelona oder an Orten, die noch weiter vom Kriegsschauplatz entfernt waren. In Sietamo lagen viele Sturmgardisten. Man hatte sie aus Barcelona hierhergeschickt, um am Angriff auf Huesca teilzunehmen. Die Sturmgardisten waren eigentlich nicht für den Einsatz an der Front bestimmt, und viele von ihnen hatten vorher noch nicht unter Beschuss gelegen. Unten in Barcelona waren sie die Herren der Straße, aber hier waren sie quintos (unerfahrene Rekruten), und ihre Kumpels waren die fünfzehnjährigen Milizkinder, die schon monatelang an der Front gewesen waren.
Im Lazarett von Monzon zog der Arzt wie üblich meine Zunge heraus, steckte seinen Spiegel in meinen Hals, versicherte mir in der gewohnten heiteren Weise wie seine Vorgänger, dass ich meine Stimme nie zurückbekomme, und unterschrieb meine Bescheinigung. Während ich auf diese Untersuchung wartete, wurde in der Chirurgie gerade eine schreckliche Operation ohne Betäubungsmittel durchgeführt - warum ohne Betäubungsmittel, weiß ich auch nicht. Sie dauerte endlos lange, und man hörte einen Schrei nach dem anderen. Als ich hinterher hineinging, lagen Stühle umher, und der Boden war voller Blut- und Urinlachen.
Die Einzelheiten dieser letzten Reise sind mit seltener Klarheit in meinem Gedächtnis haftengeblieben. Ich war in einer anderen Stimmung, ich beobachtete die Dinge besser, als ich es während der letzten Monate getan hatte. Ich hatte meine Entlassungspapiere mit dem Stempel der 29. Division und die Bescheinigung des Arztes, in der man mich unbrauchbar erklärt< hatte. Ich konnte frei nach England zurückgehen und fühlte mich deshalb eigentlich zum ersten Mal in der Lage, mir Spanien anzusehen. Für Barbastro blieb mir ein ganzer Tag, denn von dort fuhr der Zug nur einmal täglich. Vorher hatte ich Barbastro nur während kurzer Augenblicke gesehen, und die Stadt war mir einfach wie ein Bestandteil des Krieges vorgekommen; ein grauer, schmutziger, kalter Ort, voll lärmender Lastwagen und schäbiger Truppen. Jetzt sah es seltsam verändert aus. Als ich durch die Straßen wanderte, sah ich zum ersten Male mit Bewusstsein die freundlichen, gewundenen Straßen, die alten Steinbrücken, die Weinläden mit dicken, schlammigen Fässern, die so groß waren wie ein Mann, und die faszinierenden halb unter der Erde liegenden Werkstätten, in denen Männer Wagenräder, Dolche, hölzerne Löffel und Wasserflaschen aus Ziegenfell machten. Ich beobachtete einen Mann, wie er eine solche Flasche aus Fell herstellte, und entdeckte mit großem Interesse, was ich vorher nicht gewusst hatte. Die Flasche wird mit dem Fell nach innen hergestellt, und das Fell wird nicht entfernt, so dass man in Wirklichkeit destilliertes Ziegenhaar trinkt. Ich hatte monatelang aus solchen Flaschen getrunken, ohne das zu wissen. Hinter der Stadt strömte ein flacher jadegrüner Fluss vorbei, und aus dem Flussbett stieg ein senkrechter Felsen empor. In den Felsen aber hatte man Häuser hineingebaut, so dass man aus dem Schlafzimmerfenster direkt dreißig Meter tief hinunter ins Wasser spucken konnte. In den Löchern der Felswand lebten unzählige Tauben. In Lerida sah ich dann die alten, zerfallenen Gebäude, auf deren Mauervorsprüngen Tausende von Schwalben ihre Nester gebaut hatten, so dass das verkrustete Muster der Nester aus einiger Entfernung aussah wie Blumenornamente der Rokokozeit. Es war seltsam, wie ich beinahe sechs Monate lang kein Auge für solche Dinge gehabt hatte. Mit den Entlassungspapieren in der Tasche fühlte ich mich wieder wie ein menschliches Wesen und sogar wie ein Tourist. Eigentlich zum ersten Mal fühlte ich, dass ich wirklich in Spanien war, in einem Land, das ich mein ganzes Leben lang hatte besuchen wollen. In den ruhigen Seitenstraßen von Lerida und Barbastro schien ich in einem Augenblick das zu erfassen, was sich jeder vom Hörensagen unter Spanien vorstellt. Weiße Berge, Ziegenherden, Verliese der Inquisition, maurische Paläste, schwarze Maultierzüge, die sich den Berg hinaufwinden, graue Olivenbäume und Zitronenhaine, Mädchen in schwarzen Mantillas, der Wein von Malaga und Alicante, Kathedralen, Kardinäle, Stierkämpfe, Zigeuner, Serenaden - kurzum Spanien. In ganz Europa war es das Land, das meine Phantasie am meisten beschäftigt hatte. Nachdem ich endlich Spanien erreicht hatte, war es schade, dass ich nur diese nordöstliche Ecke sah, dazu noch mitten in einem ziemlich verworrenen Krieg und größtenteils im Winter.
Es war spät, als ich nach Barcelona zurückkam, und es fuhren keine Taxis mehr. Es hatte keinen Zweck zu versuchen, noch zum Sanatorium Maurin zu kommen, denn es lag ganz am Rande der Stadt. So machte ich mich auf den Weg zum Hotel >Continental< und aß unterwegs zu Abend. Ich erinnere mich noch an das Gespräch mit einem sehr väterlichen Kellner über die Becher aus Eichenholz, die mit Kupfer beschlagen waren und in denen der Wein aufgetragen wurde. Ich sagte, dass ich gerne einen Satz kaufen möchte, um sie mit nach England zurückzunehmen. Der Kellner hatte Verständnis dafür. Ja, sie waren schön, nicht wahr? Aber heutzutage nicht zu kaufen. Niemand fertigte sie mehr an - überhaupt stellte niemand mehr etwas her. Dieser Krieg - was für ein Elend! Wir waren uns einig, dass der Krieg ein Elend war. Wieder fühlte ich mich wie ein Tourist. Der Kellner fragte mich freundlich, ob mir Spanien gefallen habe und ob ich nach Spanien zurückkommen werde. O ja, ich würde nach Spanien zurückkommen. Die friedliche Atmosphäre dieser Unterhaltung ist in meinem Gedächtnis haftengeblieben, vor allem wegen der unmittelbar darauf folgenden Ereignisse.
Als ich in das Hotel kam, saß meine Frau in der Halle. Sie stand auf und kam in einer betont unbekümmerten Weise auf mich zu, was mir auffiel. Dann legte sie einen Arm um meinen Hals und flüsterte mit einem süßen Lächeln zu den anderen Leuten in der Halle in mein Ohr:
»Mach, dass du 'rauskommst!«
»Was?«
»Mach, dass du sofort hier 'rauskommst!«
»Was?«
»Bleib hier nicht stehen! Du musst schnell hinaus!«
»Was? Warum? Was willst du eigentlich?«
Sie fasste mich am Arm und führte mich schon zur Treppe. Auf halbem Wege trafen wir einen Franzosen. Ich will hier seinen Namen nicht nennen, denn obwohl er keine Verbindung mit der P.O.U.M. hatte, war er doch während der ganzen Unruhen ein guter Freund für uns alle. Er schaute mich mit besorgtem Gesicht an.
»Hör zu! Du musst hier nicht hereinkommen. Mach schnell, dass du hinauskommst, und verberge dich, ehe sie die Polizei anrufen!«
Und sieh da! Am Fuße der Treppe schlüpfte einer der Hotelangestellten, ein P.O.U.M.-Mitglied (wovon vermutlich die Direktion nichts wusste), schnell aus dem Lift und sagte mir in seinem gebrochenen Englisch, ich solle machen, dass ich wegkomme. Selbst jetzt begriff ich noch nicht, was geschehen war.
»Zum Teufel, was bedeutet das alles?« sagte ich, sobald wir auf dem Bürgersteig waren.
»Hast du denn nichts gehört?«
»Nein. Was gehört? Ich habe nichts gehört.«
»Die P.O.U.M. ist unterdrückt worden. Sie haben alle Gebäude beschlagnahmt. Praktisch jeder ist im Gefängnis. Und sie sollen schon Leute erschießen.«
Das war es also. Wir mussten einen Ort finden, wo wir uns unterhalten konnten. Alle großen Cafés an der Rambla steckten voller Polizisten, aber wir fanden ein ruhiges Cafe in einer Nebenstraße. Meine Frau erklärte mir, was sich ereignet hatte, als ich weg war.
Am 15. Juni hatte die Polizei plötzlich Andres Nin in seinem Büro verhaftet, am gleichen Abend noch hatten sie das Hotel >Falcon< besetzt und alle Männer verhaftet, die dort waren, hauptsächlich Milizsoldaten auf Urlaub. Das Gebäude wurde sofort in ein Gefängnis verwandelt, und in kurzer Zeit war es randvoll mit Gefangenen aller Art. Am nächsten Tage wurde die P.O.U.M. zur illegalen Organisation erklärt und ihre sämtlichen Büros, Buchläden, Sanatorien, Rote-Hilfe-Zentren und so weiter beschlagnahmt. Außerdem verhaftete die Polizei jeden, dessen sie habhaft werden konnte und von dem man wusste, dass er irgendeine Verbindung mit der P.O.U.M. hatte. Innerhalb von ein oder zwei Tagen befanden sich alle vierzig Mitglieder des Zentralkomitees im Gefängnis. Ein oder zwei entkamen möglicherweise und hielten sich versteckt, aber die Polizei bediente sich des Tricks, der in diesem Krieg auf beiden Seiten häufig gebraucht wurde.
Wenn ein Mann verschwand, hielt man seine Frau als Geisel fest.
Es ließ sich nicht genau überprüfen, wie viele Leute verhaftet worden waren. Meine Frau hatte gehört, allein in Barcelona seien es vierhundert. Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, dass es damals viel mehr gewesen sein müssen. Man hatte ziemlich sinnlos Leute verhaftet. In einigen Fällen hatte sich die Polizei sogar dazu hinreißen lassen, verwundete Milizsoldaten aus den Lazaretten herauszuzerren.
Das Ganze war zutiefst erschreckend. Was zum Teufel sollte es bedeuten? Ich konnte verstehen, dass sie die P.O.U.M. unterdrückten, aber warum verhafteten sie die Leute? Soviel man entdecken konnte, wegen nichts. Wahrscheinlich hatte die Unterdrückung der P.O.U.M. einen rückwirkenden Effekt. Jetzt war die P.O.U.M. illegal, und deshalb hatte man das Gesetz gebrochen, wenn man ihr vorher angehört hatte. Wie üblich, hatte man gegen keinen der Verhafteten Anklage erhoben. Die kommunistischen Zeitungen von Valencia jedoch waren nun voll mit Geschichten über eine riesige »faschistische Verschwörung«, Funkverbindungen mit dem Feind, mit unsichtbarer Tinte unterschriebene Dokumente. Ich habe diese Geschichte schon vorher beschrieben. Es war bemerkenswert, dass diese Anschuldigungen nur in den Zeitungen von Valencia erschienen. Ich glaube, es stimmt, wenn ich sage, dass sowohl in den kommunistischen wie auch in den anarchistischen oder republikanischen Zeitungen von Barcelona nicht ein einziges Wort über die Unterdrückung der P.O.U.M. oder die Verhaftungen stand. Die genauen Einzelheiten der Anschuldigungen gegen die Anführer der P.O.U.M. erfuhren wir überhaupt nicht aus den spanischen Zeitungen, sondern aus den englischen Zeitungen, die ein oder zwei Tage später nach Barcelona kamen. Damals konnten wir noch nicht wissen, dass die Regierung für die Beschuldigungen wegen Verrats und Spionage nicht verantwortlich war und die Mitglieder der Regierung sie später zurückweisen würden. Wir wussten nur ungenau, dass den Anführern der P.O.U.M. und wahrscheinlich uns allen vorgeworfen wurde, wir ständen in faschistischer Bezahlung. Schon machten Gerüchte die Runde, im Gefängnis würden Leute insgeheim erschossen. Natürlich wurde gewaltig übertrieben, aber sicherlich geschah es in einigen Fällen, und es gibt wenig Zweifel, dass es im Fall von Nin geschah. Nin wurde verhaftet, dann nach Valencia gebracht und von dort nach Madrid. Schon am 21. Juni erreichte ein Gerücht Barcelona, wonach er erschossen worden war. Später nahm das Gerücht festere Formen an. Nin war im Gefängnis von der Geheimpolizei erschossen worden, und man hatte seine Leiche auf die Straße geworfen. Diese Geschichte kam von verschiedenen Quellen, auch von Federica Montsenys, einem ehemaligen Regierungsmitglied. Von damals bis heute hat man nicht mehr gehört, dass Nin noch am Leben ist. Als die Regierung später von Delegationen verschiedener Länder befragt wurde, zögerte sie mit der Antwort, und man sagte nur dass Nin verschwunden sei, man aber nichts über seinen Aufenthaltsort wisse. Einige Zeitungen berichteten, er sei in faschistisches Gebiet entkommen. Dafür gab es aber keinen Beweis, und Irujo, der Justizminister, erklärte später, die Nachrichtenagentur >Espagne< habe sein offizielles communique (Anm.: Vgl. die Berichte der Maxton-Delegation, auf die ich schon im elften Kapitel hingewiesen habe.) verfälscht. Jedenfalls ist sehr unwahrscheinlich, dass man einem politischen Gefangenen von der Bedeutung Nins erlaubt hätte zu entfliehen. Wenn er in Zukunft nicht wieder lebend zum Vorschein kommt, müssen wir annehmen, dass er im Gefängnis ermordet wurde.
Die Verhaftungen wurden monatelang fortgesetzt, bis die Zahl der politischen Gefangenen ohne die Faschisten auf einige tausend angeschwollen war. Es war besonders bemerkenswert, wie unabhängig die unteren Ränge der Polizei dabei handelten. Viele Verhaftungen waren zugegebenermaßen illegal, und verschiedene Leute, deren Entlassung der Polizeichef angeordnet hatte, wurden am Tor des Gefängnisses wieder verhaftet und in eins der >Geheimgefängnisse< gebracht. Das Beispiel von Kurt Landau und seiner Frau ist typisch dafür. Sie wurden am 17. Juni verhaftet, und Landau >verschwand< sofort. Fünf Monate später war seine Frau immer noch ohne Gerichtsprozess und ohne Nachrichten von ihrem Mann im Gefängnis. Sie unternahm einen Hungerstreik, worauf der Justizminister ihr mitteilte, ihr Mann sei tot. Kurz darauf wurde sie entlassen, um fast sofort wieder verhaftet und in ein Gefängnis geworfen zu werden. Es ist außerdem bemerkenswert, dass die Polizei zumindest am Anfang gar keine Rücksicht darauf zu nehmen schien, welche Folgen diese Verhaftungen auf den Kriegsverlauf haben könnten. Sie machten sich nichts daraus, selbst Offiziere auf wichtigen Posten ohne vorherige Erlaubnis zu verhaften. Etwa gegen Ende Juni wurde José Rovira, der Kommandierende General der 29. Division, in der Nähe der Front von einer Gruppe Polizisten verhaftet, die man aus Barcelona geschickt hatte. Seine Leute schickten eine Protestdelegation zum Kriegsministerium. Hier entdeckte man, dass weder der Kriegsminister noch Ortega, der Polizeichef, jemals von Roviras Arrest informiert worden waren. Eine Einzelheit der ganzen Geschichte aber regte mich am meisten auf, obwohl sie vielleicht nicht so wichtig ist. Damit meine ich, dass die Nachricht von den Ereignissen den Truppen an der Front vorenthalten wurde. Wie man gesehen hat, hörte weder ich noch sonst jemand an der Front irgend etwas über die Unterdrückung der P.O.U.M. Alle Hauptquartiere der P.O.U.M.-Miliz, die Zentren der Roten Hilfe funktionierten wie üblich, und selbst noch am 20. Juni wusste niemand, selbst so weit hinter der Front wie in Lerida, nur hundertsechzig Kilometer von Barcelona entfernt, was geschehen war. In den Zeitungen von Barcelona wurde nicht ein Wort über die ganze Geschichte erwähnt. (Die Zeitungen aus Valencia, in denen die Spionagegeschichten standen, kamen nicht an die aragonische Front.) Ohne Zweifel war ein Grund für die Verhaftung der Urlauber der P.O.U.M.-Miliz in Barcelona, zu verhindern, dass sie mit der Nachricht an die Front zurückkehrten. Die Abteilung, mit der ich am 15. Juni zur Front fuhr, muss ungefähr die letzte gewesen sein. Ich wundere mich immer noch darüber, wie geheim die ganze Angelegenheit gehalten wurde, denn die Nachschublastwagen, und was dazu gehört, gingen immer noch hin und her. Aber es gibt keinen Zweifel, dass man es tatsächlich geheim hielt, und wie ich später von vielen anderen erfuhr, erfuhren die Soldaten an der Front selbst mehrere Tage später nichts davon. Das Motiv hierfür ist ganz klar. Der Angriff auf Huesca begann gerade, und die P.O.U.M.-Miliz war noch eine selbständige Einheit. So befürchtete man vermutlich, dass die Männer sich weigern würden zu kämpfen, wenn sie wüssten, was geschehen war. Tatsächlich geschah nichts dergleichen, als die Nachricht schließlich doch an die Front gelangte. In der Zwischenzeit müssen viele Soldaten getötet worden sein, ohne zu wissen, dass die Zeitungen in der Etappe sie Faschisten nannten. So etwas ist unverzeihlich. Ich weiß, dass es üblich ist, schlechte Nachrichten von der Truppe fernzuhalten, und das ist in der Regel wohl auch richtig. Aber es ist etwas ganz anderes, Soldaten in die Schlacht zu schicken und ihnen nicht einmal zu sagen, dass ihre Partei hinter ihrem Rücken unterdrückt wird, ihre Anführer des Verrates beschuldigt und ihre Freunde und Verwandte ins Gefängnis geworfen werden.
Meine Frau erzählte mir, was mit unseren verschiedenen Freunden geschehen war. Einige der Engländer und der anderen Ausländer waren über die Grenze entkommen. Williams und Stafford Cottman waren nicht verhaftet worden, als man das Sanatorium Maurin besetzte, und versteckten sich in der Stadt. Dort hielt sich auch John McNair auf, der in Frankreich gewesen war und nach Spanien zurückkam, als man die P.O.U.M. für ungesetzlich erklärt hatte. Das war natürlich übereilt gewesen, aber er wollte nicht in Sicherheit sein, während seine Kameraden in Gefahr waren. Der Rest war einfach eine Aufzählung: »Sie haben den und den erwischt«, und »sie haben den und jenen bekommen«. Es schien, als hätten sie nahezu jeden erwischt. Es gab mir allerdings einen ziemlichen Schock, als ich hörte, dass sie auch George Kopp erwischt hatten.
»Was! Kopp? Ich dachte, er sei in Valencia.« Anscheinend war Kopp nach Barcelona zurückgekommen. Er hatte einen Brief des Kriegsministeriums für den Oberst der gesamten Pionierunternehmungen an der Ostfront. Er wusste, dass man die P.O.U.M. unterdrückt hatte. Aber wahrscheinlich dachte er nicht, dass die Polizei so dumm sein könne, ihn zu verhaften, wenn er sich in einer dringenden militärischen Mission auf dem Wege zur Front befand. Er war zum Hotel >Continental< gekommen, um seine Seesäcke zu holen. Meine Frau war gerade ausgegangen, und die Hotelleute hatten es fertig gebracht, ihn mit einer Lügengeschichte aufzuhalten, während sie die Polizei anriefen. Ich muss zugeben, dass ich außer mir war, als ich von der Gefangennahme Kopps hörte. Er war mein persönlicher Freund, ich hatte monatelang unter ihm gedient, ich hatte zusammen mit ihm unter Beschuss gelegen, und ich kannte sein persönliches Geschick. Er war ein Mann, der alles geopfert hatte - Familie, Nationalität und Lebensunterhalt -, und das nur, um nach Spanien zu kommen und gegen den Faschismus zu kämpfen. Sollte er jemals in sein eigenes Land zurückkehren, würde er viele Jahre Gefängnis erhalten, denn er hatte Belgien verlassen und war einer fremden Armee beigetreten, obwohl er noch belgischer Armeereservist war. Außerdem hatte er geholfen, illegal Munition für die spanische Regierung herzustellen. Seit Oktober 1936 hatte er an der Front gelegen und sich vom Milizsoldaten zum Major hinaufgedient. Ich weiß nicht, wie oft er an einer Schlacht teilgenommen hatte, einmal war er auch verwundet worden. Ich hatte selbst gesehen, wie er während der Maiunruhen örtliche Kämpfe verhütet und vermutlich zehn oder zwanzig Menschenleben gerettet hatte. Zum Dank für alles fand man nichts Besseres, als ihn ins Gefängnis zu werfen. Natürlich war es verlorene Zeit, wütend zu sein, aber die dumme Bosheit dieser Geschichte stellte wirklich meine Geduld auf die Probe.
Meine Frau hatten sie allerdings nicht >verhaftet<. Obwohl sie im >Continental< geblieben war, hatte die Polizei nichts unternommen, um sie festzusetzen. Offensichtlich wurde sie als Lockvogel benutzt. Ein paar Nächte vorher jedoch waren sechs Polizisten in Zivil frühmorgens in ihr Hotelzimmer gekommen und hatten es durchsucht. Sie hatten jedes Stückchen Papier, das wir besaßen, beschlagnahmt, zum Glück nur nicht unsere Pässe und unser Scheckbuch. Sie hatten meine Tagebücher, alle Bücher und sämtliche Zeitungsausschnitte, die ich monatelang aufbewahrt hatte, mitgenommen. (Ich habe mich oft gefragt, was sie mit den vielen Zeitungsausschnitten angefangen haben.) Sie hatten auch meine Kriegssouvenirs und meine Briefe mitgenommen. (Zufällig war darunter auch eine Reihe von Briefen, die ich von meinen Lesern erhalten hatte. Einige hatte ich noch nicht beantwortet, und ich habe natürlich die Adressen nicht mehr. Sollte mir jemand über mein letztes Buch geschrieben und keine Antwort erhalten haben und zufällig diese Zeilen lesen, möge er bitte auf diese Weise meine Entschuldigung entgegennehmen.) Hinterher erfuhr ich auch, dass die Polizei einige Habseligkeiten beschlagnahmte, die ich im Sanatorium Maurin gelassen hatte. Sie schleppten sogar ein Bündel meiner schmutzigen Wäsche weg. Vielleicht dachten sie, darauf stünden geheime Botschaften in unsichtbarer Tinte. Offensichtlich war es für meine Frau im Augenblick sicherer, im Hotel zu bleiben. Falls sie versuchte zu verschwinden, würde man ihr sofort nachspüren. Ich selbst aber musste direkt untertauchen. Der Gedanke daran empörte mich. Trotz der unzähligen Verhaftungen konnte ich eigentlich nicht glauben, dass ich in Gefahr war. Die ganze Angelegenheit schien so sinnlos zu sein. Ebenso weigerte ich mich, diesen idiotischen Zufall ernst zu nehmen, der Kopp ins Gefängnis gebracht hatte. Ich überlegte dauernd, warum sollte mich denn jemand verhaften? Was hatte ich getan! Ich war nicht einmal Parteimitglied der P.O.U.M. Natürlich hatte ich während der Maikämpfe Waffen geführt, aber das hatten schätzungsweise vierzig- oder fünfzigtausend Leute getan. Außerdem brauchte ich dringend eine Nacht anständigen Schlafes. Ich wollte es riskieren und zum Hotel zurückgehen, aber meine Frau wollte nichts davon hören. Geduldig erklärte sie mir die ganzen Umstände. Es kam nicht darauf an, was ich getan oder nicht getan hatte. Es handelte sich nicht um eine Jagd auf Kriminelle, es war nur die Herrschaft des Terrors. Ich hatte mich nicht eines bestimmten Vergehens schuldig gemacht, sondern meine Schuld bestand darin, ein >Trotzkist< zu sein. Die Tatsache, dass ich in der Miliz der P.O.U.M. gedient hatte, war genug, um mich ins Gefängnis zu bringen. Es hatte keinen Zweck, sich an die englische Auffassung zu klammern, wonach man sicher ist, solange man die Gesetze eingehalten hat. Praktisch gab es nur das Gesetz, das sich die Polizei ausgedacht hatte. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich zu verbergen und geheim zu halten, dass ich irgend etwas mit der P.O.U.M. ZU tun hatte. Wir gingen die Papiere durch, die ich in der Tasche hatte. Meine Frau ließ mich den Milizausweis, auf dem in großen Buchstaben P.O.U.M. stand, zerreißen, außerdem auch ein Foto einer Gruppe Milizsoldaten, auf dem im Hintergrund eine P.O.U.M.-Flagge zu sehen war. Wegen so etwas wurde man jetzt verhaftet. Meine Entlassungspapiere allerdings musste ich behalten. Aber selbst sie waren gefährlich, denn sie trugen das Siegel der 29. Division, und die Polizei wusste sicher, dass die 29. Division zur P.O.U.M. gehörte. Aber ohne diese Papiere konnte ich wegen Fahnenflucht verhaftet werden.
Wir mussten uns nun überlegen, wie wir aus Spanien herauskamen. Es hatte keinen Zweck mehr, hier zu bleiben, wo man mit Sicherheit früher oder später verhaftet würde. Tatsächlich wären wir beide noch gerne hier geblieben, um zu sehen, was geschah. Aber ich konnte mir vorstellen, wie lausig die spanischen Gefängnisse sein würden (sie waren tatsächlich noch schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte). Wenn man aber erst einmal im Gefängnis saß, wusste man nicht, wann man wieder herauskam. Außerdem befand ich mich in einem scheußlichen Gesundheitszustand, von den Schmerzen in meinem Arm ganz zu schweigen. Wir verabredeten, uns am nächsten Tag im britischen Konsulat zu treffen, wohin auch Cottman und McNair kommen wollten.
Es würde wahrscheinlich einige Tage dauern, ehe unsere Pässe in Ordnung waren. Bevor man Spanien verließ, mussten die Pässe an drei verschiedenen Stellen abgestempelt werden - vom Polizeichef, vom französischen Konsul und von den katalonischen Einwanderungsbehörden. Natürlich war der Polizeichef eine Gefahr. Aber vielleicht konnte der britische Konsul die Sache so darstellen, dass man von meiner Verbindung mit der P.O.U.M. nichts erfuhr. Natürlich musste es eine Liste verdächtiger ausländischer >Trotzkisten< geben, und sehr wahrscheinlich enthielt sie auch unsere Namen. Mit etwas Glück konnten wir aber vor dieser Liste an die Grenze kommen. Sicherlich herrschten ein ziemlich großes Durcheinander und manana. Zum Glück waren wir in Spanien und nicht in Deutschland. Die spanische Geheimpolizei hatte zwar etwas vom Geist der Gestapo, aber nicht viel von ihrer Geschicklichkeit.
So trennten wir uns. Meine Frau ging zum Hotel zurück, und ich wanderte in die Dunkelheit, um ein Plätzchen zum Schlafen zu finden. Ich erinnere mich, wie gelangweilt und mürrisch ich mich fühlte. Ich hatte mich so auf eine Nacht in einem Bett gefreut! Nirgends gab es etwas, wohin ich gehen konnte, kein Haus, wo ich unterschlüpfen konnte. Die P.O.U.M. hatte praktisch keine Untergrundorganisation. Ohne Zweifel hatten die Anführer erkannt, dass die Partei wahrscheinlich unterdrückt werden würde, aber sie hatten niemals mit einer derartig umfangreichen Hexenjagd gerechnet. Das hatten sie tatsächlich so wenig erwartet, dass sie die Umbauten an dem P.O.U.M.-Gebäude bis zu dem Tag fortsetzten, an dem die P.O.U.M. unterdrückt wurde (unter anderem errichteten sie ein Kino in ihrem Amtsgebäude, das vorher eine Bank gewesen war). So gab es keine Treffpunkte und Verstecke, die jede revolutionäre Partei selbstverständlich haben sollte. Gott weiß, wie viele Leute - Leute, deren Haus von der Polizei besetzt worden war - diese Nacht in den Straßen schliefen. Ich hatte fünf Tage einer ermüdenden Reise hinter mir, ich hatte an den unmöglichsten Orten geschlafen, mein Arm schmerzte sehr stark, und jetzt jagten mich diese Dummköpfe hin und her, und ich musste wieder auf der Erde schlafen. So weit ungefähr reichten meine Gedanken. Ich stellte keine korrekten politischen Überlegungen an. So etwas tue ich nie, während etwas geschieht. Wenn ich in einen Krieg oder in politische Auseinandersetzungen verwickelt bin, geht es mir anscheinend immer so. Ich weiß von nichts, außer den physischen Unannehmlichkeiten und dem tiefen Wunsch, dass dieser verdammte Unsinn bald vorbeigehen möge. Hinterher sehe ich die Bedeutung der Ereignisse, aber während sie geschehen, habe ich nur den Wunsch, daraus wegzukommen - vielleicht ist das ein gemeiner Charakterzug.
Ich legte einen langen Weg zurück und kam schließlich in die Nähe des Allgemeinen Krankenhauses. Ich suchte nach einem Ort, wo ich mich hinlegen konnte, ohne dass mich ein neugieriger Polizist fand und nach meinen Papieren fragte. Ich versuchte es in einem Luftschutzbunker, aber er war gerade frisch ausgehoben worden und tropfte vor Feuchtigkeit. Dann fand ich die Ruine einer Kirche, die während der Revolution geplündert und in Brand gesteckt worden war. Sie war nur noch ein Skelett, vier Wände ohne Dach, die einen Haufen Schutt umgaben. Ich stöberte in der grauen Finsternis herum und fand eine Art Mulde, in die ich mich hinlegen konnte. Brocken von zerbrochenem Mauerwerk sind nicht gerade gut, um sich draufzulegen, aber glücklicherweise war es eine warme Nacht, und es gelang mir, einige Stunden zu schlafen.

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