Die Natur erwacht
Die Kiebitze sahen nach dem weiten Flug nun endlich die Höhen von Bergedorf. Sie sahen die Stadt auf dem Hang und im Tal und schrien vor Heimkehrfreude. Überall auf der weiten Strecke hatten sich Tiere abgesondert und waren in die Sumpf- und Moorlandstriche eingefallen. Kleiner und kleiner wurde der Schwarm. Auch jetzt zog nur eine Gruppe davon und schwenkte in das Urstromgebiet von Vierlanden ein. Sie sahen die moorigen Wässerchen fließen, sahen die Scheiben der Treibhäuser aufblitzen, sie sahen die schmalen Flurstücke, die Windhecken und Kopfweiden.
Die Erde hatte noch keinen grünen Halm hervorgebracht. Nur der weiche Boden deutete an, dass er aus dem Winterschlummer erwachte. Die Sonne streichelte ihn, und der Wind streichelte ihn, und sein Atem stieg in dünnen Schleiern auf.
Immer wieder befreiten sich Paare aus dem zersprengten Zug und taumelten müde in ihr Neststück. Es gab keine Vogelwolke mehr. Jeder Vogel wusste, wohin er wollte, und schlug die Richtung zum Nistplatz ein. Wieder schwenkten drei Paare ab. Sie blieben jedoch noch lange in der Luft. Dort unten hatte sich für sie die Welt verändert. Sie wären gern tiefer gegangen, schon um zu rasten, streiften jedoch bis zum Elbfluss weiter, behielten die Höhe bei und kehrten um.
Sie kannten gestreifte Vierbeiner. Sie kannten die pflügenden Bauern, ihre Kühe und Pferde, die knatternden Motorkästen der Blumenzüchter und Gemüsegärtner und auch die Ziegelei, aber das Gewimmel der gestreiften Zweibeiner war ihnen völlig fremd.
Die Ziegelei hatte lange Jahre still gestanden. Deshalb hatten die Kiebitze noch im vergangenen Jahr in den verlassenen Tonstichen nisten können. Der stahlfarbene Glanz ihres Gefieders deckte sich mit der Tonfarbe so gut, dass sie fast unsichtbar blieben, wenn sie auf den birnenförmigen braunschwarz gesprenkelten Eiern brüteten.
Sie erkannten dort unten alles wieder. Sie hatten sich nicht verflogen. Die Sehnsucht hatte sie nicht blind gemacht. Aber die Zweibeiner setzten inzwischen grüne Langställe dorthin, wo das Korn bisher wuchs. Das Korn ringsum oder die Kartoffelstücke bildeten gute Deckung. Nun war die Tongrube belebt, die Landfläche, und die Presse des Ziegelwerkes ratterte und dröhnte. Loren rollten hin und her, Spaten senkten sich in den Ton, und die Gestreiften warfen die triefende Last unentwegt wie Eimerbagger am Elbfluss in die Eisenkisten.
Die Schwingen der Kiebitze verlangten nach Ruhe. Die roten Ständer rückten nervös vom Leib ab, aber unter den schneeweißen Brüsten schlug das sehnsüchtige Herz, während die Vorsicht unter dem Fiederschopf mahnte, dass die Luft der sicherste Aufenthalt sei.
Die Vögel flogen und flogen. Sie erkannten bald wieder die Hügelkette von Bergedorf und die Hausreihen, die der Mensch an den Berg baute, gleich den Uferschwalben die trockene Lage nutzend.
Sie flogen den Weg zurück, und die Sehnsucht nach dem alten Nest und die auf Nahrung vermischten sich mit der Müdigkeit in den Schwingen. Die Nebenarme der Elbe und die Grabenrinnsale der Flurstücke mischten ihr Wasser und trieben zum großen Fluss, auf dem die Schleppzüge nach Hamburg schwammen. Alles schien sich zu finden, nur die Kiebitze blieben von der Erde getrennt, die sie nackt und kahl unter sich sahen und die nun den vielen gestreiften Zweibeinern gehörte.
Ein Vogel ging tiefer. Sein Weibchen folgte. Sie trieben links weg, und blitzschnell landeten sie. Noch hielten die zwei Paare zusammen. Auch sie mochten nicht mehr umherstreifen, verließen die obere Luftschicht und näherten sich der Erde. Sie gingen auf der Koppel nieder, durch die sich ein Graben zwängte. Auf den roten Ständern sichernd, horchten sie nach der Tongrube hin, vernahmen die Werkzeuge der Zweibeiner, ihre lauten Stimmen und das Tosen der Ziegelpresse. Sie sahen auch Zweibeiner, die nicht gestreift waren und sich im Gelände wie Pfähle verteilten. Diese schrien sehr oft, als trieben sie Vieh zusammen, aber das galt den Gestreiften unten in der feuchten Grube.
Deshalb gingen die Kiebitze nach einiger Zeit, um eine Mulde zu suchen, die gut war für ein Nest. Sie stelzten umher, wo der Maulwurf schon Erde schob, und sie versprachen sich einen steifen Wurm oder eine fette Larve. Zuerst pickten sie mit großer Vorsicht. Doch allmählich gewöhnten sie sich an den Lärm. Sie stelzten umher und hoben die Schöpfe. Jeder Hahn, nun mit der Henne allein, die Spätsonne im Gefieder, tänzelte, um sie zu belaufen. Sie jedoch verhielt sich noch gleichgültig. Sie trug Laub und Halme ins Nest. So schön die Hahnenfedern auch glänzten, die Henne trug fleißig die Behaglichkeit in die Erdmulde. Nachtlager und Kückenwiege, dieser mütterliche Sinn ließ sie den Gefühlen ausweichen und resolut mit den Schwingen schlagen. Prüfung für beide. Sie schleppten sich auch keineswegs mit einem vollen Magen herum. Sie hatten ihren Verzweiflungsflug längst vergessen, fraßen die Würmchen und nesteten weiter. Und wieder begann das schüttelnde Federspiel des Hahnes, steilte sich der Schopf und tänzelten die Ständer. Sie ließ sich gutherzig herab, ihn zu bewundern, den Bunten, den Schönen, den Heißsporn. Ihre Federn zitterten und lockerten sich, auch sie musste tanzen. Noch einmal kühlte sie ab. Sie wollte nicht leichtfertig sein und trotzte dem Hahn. Er streifte sie. Noch gab er nicht auf.
Da trillerte es. Dann schrien die Zweibeiner. Auf einmal standen sie oben auf der Erde. Viele. Bartlos, schopflos, die Nasen steil in die Luft gerichtet. Sie blinzelten, als vertrügen sie nicht das Abendlicht. Sie schleuderten ihre kahlen Köpfe und schrien dem Nachbarn etwas ins Ohr. Die, die nicht gestreift waren, schrien ganz wild, da hatten die Gestreiften mit einem Ruck gestreifte Schöpfe.
Der Hahn stieg in die Luft. Wiuchi, wiuchi, schrie es aus seiner Kehle. Nun hielt es die Henne auch nicht am Boden. Sie schrie mit ihm. Sie pflichtete seinem wiuchi, wiuchi bei. Sie wirbelten auf und stürzten ab. Leuchtwärme und Erdkühle begegneten sich, und die Vögel fuhren aufeinander los, als wollten sie miteinander kämpfen. Sie stießen fast zusammen und wuchtelten hoch, fielen zurück und schrien.
Die gestreiften Männer lächelten. Sie hatten den ganzen Tag den Frühling gerochen, der sich im Mutterboden regte, der vom Fluss her kam, den die Bäume und Sträucher noch ganz dünn verströmten. Auf einen Kilometer Entfernung hätten sie das Parfüm einer Frau gerochen, derart empfindsam waren ihre Nasen. Sie schlossen ihre Fäuste. Sie verzerrten ihre Gesichter. Ihre Stirnen setzten Schweiß an, und der rann ihnen wässrig genug in die Augen.
Sie zogen singend ab.
Gieh, giewitt, sangen die Kiebitze und flogen ihnen nach. Sie sahen die Männer an die Langställe marschieren, hörten ihre Stimmen und mischten sich mit ihrem gieh, giewitt hinein.
Die Sonne ging ja um diese Jahreszeit, die noch kein Frühling war, schnell unter. Den Kiebitzen verblieb wenig Zeit für den Spätflug und den Sang in kahler Landschaft. Zufrieden purzelten sie ins Nest.
Auch bei den gestreiften Männern saß der Vorfrühling innen. Nur war er von Bitterkeit gewürzt. Die meisten, fast vom Fleisch entblößt, krallten ihre Nägel
in die Strohsäcke, wälzten sich im Traum und redeten von der Flucht und allerlei Mädchengeschichten. Sie lachten und stöhnten und wälzten sich auf dem Stroh herum, als lägen sie auf glühenden Kohlen.
Nur die Kiebitze in ihrem Nest lagen still. Die Nachtfeuchte senkte sich auf ihr Gefieder, aber sie spürten gegenseitig ihre Herzen. Der Wind trieb über sie hin, eins spürte des andern Gegenwart, und sie ruhten nebeneinander, weil es dem Vogel nicht gegeben ist, sich gegenseitig in Zäune zu zwängen. |
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